Im Juli und August 2023 ging mal wieder das Foto des Bauschilds, das neu gebaute Häuser an der Fontanestraße zeigt, durchs Internet. Laut diesem Schild sollen neun Einfamilienhäuser für Flüchtlinge und Asylbewerber geplant sein. Zeit für einen Faktencheck.
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ToggleDas Bauschild von der Fontanestraße
Ein auf X (vormals Twitter) geteiltes Foto zeigt ein Bauschild, dass beweisen soll, dass die Stadt Willich derzeit neun Einfamilienhäuser in der Fontanestraße bauen lässt, die für Flüchtlinge und Asylbewerber vorgesehen sind. Von „Umvolkung“ und „offener Diskriminierung der eigenen Bevölkerung“ ist die Rede. Mit Kommentaren wie „Es kann doch nicht sein, dass Flüchtlinge besser wohnen als Einheimische“ oder „Einfamilienhäuser für Flüchtlinge, während sich die eigenen Leute keine Einfamilienhäuser mehr leisten können. Die wollen uns komplett verarschen!“ wird das Bauschild genutzt, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Neben den üblichen „Deutschland, erwache!“ Kommentaren, finden sich unter dem am 22.07.2023 geposteten Foto aber auch Antworten, die aufklären und auf Alter des Fotos und das durchaus gelungene Integrationskonzept der Stadt Willich hinweisen.
Ich kann mich noch gut an die erste Welle der Empörung und Verbreitung des Bauschilds erinnern. 2018 bekam ich ein Video (s. YouTube-Screenshot) zugeschickt, welches ich nun im Zuge der Recherche für diesen Beitrag wieder gefunden habe.
Zugegeben: Das Bauschild war ein kommunikativer Fehlgriff zu einer Zeit, die durch den russischen Überfall auf die Ukraine leider wieder aktuell ist. Deshalb ist es auch kein Zufall, dass das Bauschild von den selbsternannten Patrioten nun wieder rausgekramt wird um die Stimmung gegen Geflüchtete anzuheizen. Aber ja, die Stadt Willich hätte damals voraussehen müssen, dass ein überdimensionales Schild mit der Aufschrift „Neun Einfamilienhäusern für Flüchtlinge / Asylbewerber“ ein gefundenes Fressen für AfDler, PEGIDA-Anhänger (gibt’s die eigentlich noch?) und Rechtsextreme sein wird.
Faktencheck: Einfamilienhäuser für Flüchtlinge?
Der rechtliche Rahmen: Kommunen sind für Unterbringung zuständig
Die Gewährleistung menschenwürdiger Flüchtlingsunterkünfte ist eine öffentliche Aufgabe, die der Staat im Rahmen seiner grundlegenden Fürsorgepflicht wahrnehmen muss und dabei das Allgemeinwohl der Bevölkerung im Blick haben sollte. Die Zuständigkeit für die Unterbringung von Flüchtlingen sowie die Bereitstellung von existenzsichernden Leistungen in Form von Geld und Sachleistungen liegt bei den Bundesländern. Die Kommunen, die integraler Bestandteil der Bundesländer sind, tragen daher die Hauptverantwortung bei der Aufnahme und Integration ankommender Flüchtlinge.
Die Situation 2015: Hunderte Zuweisungen und belegte Turnhallen
Im Oktober 2015 verzeichnete die Stadt Willich 260 eigene Flüchtlinge und Asylbewerber, zusätzlich zu 450 Personen, die in der Landeseinrichtung im ehemaligen Krankenhaus im Stadtteil Willich untergebracht waren. Diese 450 Personen wurden jedoch vollständig auf die Zuweisungsquote angerechnet. Ohne diese Einrichtung hätte die Stadt mit einer sofortigen Zuweisung von 450 Personen rechnen müssen. Im November 2015 wurden der Stadt Willich weitere 137 Personen zugewiesen. Gemäß der Aussage der Bezirksregierung Arnsberg war bis auf Weiteres mit monatlichen Neuzuweisungen von 100 bis 150 Personen zu rechnen. Eine der ersten Folgen war damals die Belegung der Niershalle.
Der Rat der Stadt Willich beschloss deshalb, Einfamilienhäuser dezentral in konventioneller Bauart zu errichten mit der Option der späteren Umwandlung in Sozialwohnungen. Dieses Vorhaben orientierte sich übrigens an den Häusern, die während der Jugoslawienkrise auf der Viersener Straße in Anrath errichtet wurden. Als Standorte wurden Neersen und Schiefbahn festgelegt, um dem dezentralen Konzept gerecht zu werden. In diesen beiden Ortsteilen der Stadt Willich standen bisher keine dauerhaften Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbewerber zur Verfügung.
Der Text auf dem Bauschild ist unzureichend
Aber wie kam und kommt es nun zu der Aufregung um den Bau von Wohnraum für Flüchtlinge? Fremdenfeindlichkeit? Der Irrglaube, Flüchtlinge bekämen einfach so ein Haus geschenkt und der damit verbundene Neid? Vielleicht liegt es auch an der unzureichenden Beschriftung des Bauschilds. Denn hier fehlen enige wichtige Informationen.
Ja, auf dem Grundstück wurden neun Einfamilienhäuser errichtet. Was auf dem Schild nicht steht: In den Häusern wurden zum Teil mehrere Familien pro Wohneinheit untergebracht, sozusagen als Wohngemeinschaften. Das hat mir ein damaliger städtischer Mitarbeiter bestätigt. Zudem wurde beschlossen, dass in den Häusern ausschließlich anerkannte Asylbewerber einziehen, die somit eine Perspektive auf dauerhaften Aufenthalt haben. Falls ihre Unterbringung nicht mehr erforderlich sein sollte, werden diese Häuser dem sich stetig verkleinernden Markt für Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt. Und das ist auch in den vergangenen Jahren passiert. Die Alternative wäre gewesen, Turnhallen zu belegen. Daher ist die Beschriftung auf dem Bauschild letztendlich unzureichend. Und nein: Kein Flüchtling oder Asylbewerber hat ein Haus geschenkt bekommen – nur um es einmal geschrieben zu haben.
Sozialer Wohnungsbau auf städtischem Grund
Die Häuser sind nicht luxuriös, sondern bieten auf städtischem Grund kostengünstigen Wohnraum, der den Mindeststandards entspricht. Die Stadt begrenzte die Baukosten für diese Häuser auf höchstens 1.600 Euro pro Quadratmeter, einschließlich der Nebenkosten. Ein Musterbeispeil für städtischen sozialen Wohnungsbau.
Fragenkatalog der Anwohner
Damals gab es viele Fragen aus der Bevölkerung und von Anwohnern. Ein entsprechender Fragenkatalog wurde von der Verwaltung ausführlich beantwortet. Das Dokument ist hier abrufbar.
Ja, es fehlt Wohnraum in Willich
Den Unmut über hohe Mieten und nicht ausreichenden Wohnraum in Willich kann ich absolut nachvollziehen. Wohnen darf kein Luxus sein. Dass die Stadt Willich und die Politik das Thema nicht auf dem Schirm hätten und hier nicht investieren – wie von den Beiträgen in Sozialen Netzwerken suggeriert – stimmt nicht. Mehr dazu lesen Sie hier.