Der Fall „Sami A.“ schlägt nach wie vor hohe Wellen. Nach der Äußerung des NRW-Innenministers Herbert Reul, Gerichte sollten das Rechtsempfinden der Bevölkerung beachten, gab es korrekterweise viel Kritik. Die Anwendung des Rechts ist ausschließlich an Recht und Gesetz auszurichten und nicht an dem Rechtsempfinden einzelner oder mehrerer Personen.
Interessant finde ich aber, dass der zweite Teil seiner Aussage so wenig Beachtung fand: „[…] Wenn die Bürgerinnen und Bürger Gerichtsentscheidungen nicht mehr verstehen, ist das Wasser auf die Mühlen der Extremen.“ Zweifelt der Innenminister etwa an der Intelligenz von 18 Mio. Nordrhein-Westfalen? Sollte es tatsächlich der nordrhein-westfälischen Bevölkerung an Intellekt für gerichtliche Urteile im Namen des Volkes mangeln? Und wenn dem Minister und der NRW-Landesregierung entsprechende Erkenntnisse vorliegen, warum wird dann nicht umgehend ein landesweites Bildungsprogramm aufgelegt? Fragen über Fragen.
Wahrscheinlich hält der Minister uns nicht für doof. Er hat nach Bauchgefühl gehandelt und ruderte inzwischen nach der heftigen Kritik von Richtern, Grünen, SPD und Kanzlerin Merkel zurück. Ihm sei klar geworden, dass seine Aussage über Gerichtsentscheidungen, die möglicherweise dem Rechtsempfinden der Bürger widersprechen, missverstanden werden konnte. „Das bedaure ich“, so Reul.
Die Lehre hieraus sollte sein, sich als Politiker nicht immer auf das Bauchgefühl zu verlassen. Zudem muss sich die Politik Gedanken machen, wie sie verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnt und staatliche Institutionen in der Bevölkerung gestärkt werden. Sowohl schulische Bildung als auch die konsequente und transparente Anwendung des Gesetzes durch die Justiz sind dafür bestens geeignet und meiner Meinung nach mehr gefordert denn je in der fast 70-jährigen Geschichte der BRD.