EU-Abgeordneter und erneuter Europakandidat Stefan Berger (CDU) stimmte als einziger deutscher Abgeordneter gegen die Einstellung der weiblichen Genitalverstümmelung. Ich habe ihn nach seiner christlichen Motivation dazu gefragt.
Update: Nachdem Stefan Berger zunächst nicht antwortete, erreichte mich am 20.05.2024 schließlich doch noch eine E-Mail.
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ToggleBeschneidung von Mädchen und Frauen
Genitalverstümmelung ist ein grausamer Verstoß gegen die Menschenrechte und betrifft weltweit Millionen Frauen. Darunter ist die vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien oder andere Verletzungen der weiblichen Geschlechtsorgane ohne medizinische Gründe zu verstehen. Diese grausame Praxis hat vor allem in vielen Ländern Afrikas eine lange Tradition und soll die Jungfräulichkeit und Treue der Frau symbolisieren und sicherstellen.
Die Verstümmelung erfolgt in der Regel ohne Betäubung mit unhygienischen Hilfsmitteln wie Rasierklingen oder Messern. Obwohl die Verstümmelung weltweit als Menschenrechtsverletzung anerkannt ist, sind bis 2030 rund 68 Millionen Mädchen der Gefahr ausgesetzt, beschnitten zu werden. Die Mädchen sind meist unter 15 Jahre alt.
Antrag zur Verhinderung von Genitalverstümmelung
Deshalb brachte die Fraktion „Die Linke im Europäischen Parlament“ in 2020 einen Antrag ein, in dem sie eine Strategie zur Beendigung der grausamen Genitalverstümmelung bis 2030 fordert. Der sogenannte Entschließungsantrag zur Einstellung der weiblichen Genitalverstümmelung wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen: 612 Stimmen dafür, nur 7 dagegen. Darunter auch die von Europaparlamentarier und erneutem Europakandidat Stefan Berger aus dem Kreis Viersen.
Nur eine Gegenstimme aus Deutschland – von Stefan Berger
Trotz der grausamen Fakten stimmte Stefan Berger gegen den Antrag zur Verhinderung der Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen, während alle anderen deutschen Abgeordneten sich enthielten oder für die Verhinderung dieser grausamen Praxis waren. Insgesamt enthielten sich 11 deutsche EU-Parlamentarier. 10 von der AfD und noch einer von der CDU. Damit trauten selbst die Rechtsextremisten sich nicht, gegen den Antrag der Linksfraktion zu stimmen.
Aber das war für Stefan Berger aus Schwalmtal offenbar kein Problem. Er stimmte mit 6 anderen Abgeordneten dagegen. Dabei möchte ich nicht unterschlagen, dass auch drei Abgeordnete der S&D-Fraktion aus Frankreich, Kroatien und Polen dagegen stimmten. Für mich genauso unverständlich.
Was sagt Stefan Berger selbst dazu?
Auf Stefan Bergers Webseite heißt es: „Ich lade Sie herzlich ein, mit mir in Kontakt zu treten, damit ich Ihre Anregungen, Fragen und Kritik mit in die Europapolitik nehmen kann.“ Und natürlich habe ich Stefan Berger gefragt, warum er gegen den Entschließungsantrag zur weltweiten Einstellung der Verstümmelung weiblicher Genitalien gestimmt hat. Am 12.05.2024 schrieb ich ihm folgende E-Mail:
Stefan Berger und sein Team haben bis heute auf diese E-Mail nicht geantwortet. Aber damit bin ich nicht allein. Denn die Antwortmoral des CDU-Abgeordneten Berger ist insgesamt eher unterdurchschnittlich ausgeprägt. Das zeigt ein Blick in die überparteiliche und institutionell unabhängige Internetplattform „Abgeordnetenwatch.de“. Denn hier glänzt Berger mit einer Antwortrate von 24 Prozent während seines seit 2019 laufenden Mandats im Europaparlament. Und auch die vielen Bürgeranfragen zu seinem Abstimmungsverhalten zur Genitalverstümmelung beantwortet er entweder gar nicht oder nur sehr ausweichend.
Aber schauen wir uns seine Antworten auf die entsprechenden Fragen einmal an. So fragt Willi K. im Mai 2020, warum Stefan Berger als christlicher Abgeordneter gegen den Entschließungsantrag gestimmt hat. Bergers Antwort kommt mehr als drei Wochen später:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Stefan Berger, 24.06.2020
vielen Dank für Ihre Nachricht. Gerne werde ich an dieser Stelle, wie auch bei den vorherigen Anfragen, meine Position erläutern: Die weibliche Genitalverstümmelung ist eine systematische Verletzung der Menschenrechte und ein grausames Verbrechen. Leider sind weltweit schätzungsweise 200 Millionen Frauen und Mädchen betroffen. Die Europäische Union muss sich weiterhin mit aller Kraft dafür einsetzen, dass diese barbarische Praxis endlich aufhört. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament setzt sich für die konsequente Bekämpfung dieser menschenfeindlichen Beschneidungsrituale ein. Ich unterstütze die Stellungnahme von Frau Angelika Winzig MdEP in diesem Zusammenhang: https://www.eppgroup.eu/de/wie-wir-es-umsetzen/mit-eu-laendern/osterreich/nachrichten/winzig-beschneidung-von-frauen-ist-grausames-verbrechen
Immerhin bezeichnet Berger die weibliche Genitalverstümmelung als eine Verletzung der Menschenrechte und als ein grausames Verbrechen. Zudem stellt er fest, dass die EU sich weiterhin „mit aller Kraft“ für die Einstellung dieser Praxis einsetzen müsse.
Eine einfache und klare Antwort auf die Frage nach den Gründen für sein Dagegenstimmen bleibt er jedoch schuldig. Stattdessen behauptet er, eine Stellungnahme der österreichischen Abgeordneten Angelika Winzig zu unterstützen und möchte auf diese Stellungnahme offenbar verlinken. Aber der Link führt ins Nichts. „Page not found“. Auch eine Google-Suche nach dieser vermeintlichen Stellungnahme von Frau Winzig ergibt keine Treffer.
Auch die vielen anderen Fragen zu seinem Abstimmungsverhalten werden entweder mit demselben Antworttext und dem toten Link oder überhaupt nicht beantwortet. Somit bleibt es Stefan Bergers Geheimnis, warum er gegen den Entschließungsantrag zur Verhinderung der weiblichen Genitalverstümmelung gestimmt hat. Schade!
Update: Am 20.05.2024 erreichte mich eine E-Mail von Herrn Berger. Darin erklärt er, er habe aus drei Gründen gegen den Entschließungsantrag gestimmt.
So habe die Resolution nicht deutlich gemacht, dass Genitalverstümmelung als Straftatbestand ins EU-Recht gehöre und hart bestraft werden müsse. Zudem habe sie es verpasst, „die richtigen Schwerpunkte zur Verhinderung von weiblicher Genitalverstümmelung im europäischen Kontext zu setzen.“ Des Weiteren blende die Linksfraktion aus, dass die weibliche Genitalverstümmelung eine Form von Gewalt gegen Frauen ist, die oftmals unter religiösem oder kulturellem Vorwand stattfindet und dass die EU auch hierauf eine Antwort finden müsse.
Auf die Frage, warum er auf die Bürgeranfragen bei Abgeordnetenwatch.de ausweichend antwortet und auf eine angebliche Stellungnahme verweist, die nicht abrufbar ist, liefert er keine Antwort. Stattdessen freut er sich, dass ich einen „erheblichen Teil meiner Freizeit“ seiner Person widmen würde. Seien Sie beruhigt: Es kostet nicht viel Zeit herauszufinden, was Herr Berger im EU-Parlament treibt.
Warum ich erst jetzt darüber schreibe
Am 24.04.2024 hat das EU-Parlament erste Regeln zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gebilligt. Diese neuen Regeln sollen geschlechtsspezifischer Gewalt vorbeugen und Betroffene schützen, insbesondere Frauen und Opfer häuslicher Gewalt. Darüber berichtete auch die Tagesschau. Jetzt, wo man überall das freundliche Gesicht von Herrn Berger in Willich und im Kreis Viersen sieht, hat mich seine Meinung zu diesem Thema interessiert. Die Recherche hat mich erschrocken und ich wollte es genauer wissen.
Auf Fragen der Bürgerinnen und Bürger nicht zu antworten empfinde ich als unverschämt. Schließlich ist Stefan Berger vom Volk gewählt. Als EU-Abgeordneter verfügt er über drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dazu zählen sein Büroleiter sowie eine Wissenschaftliche und eine Parlamentarische Referentin. Selbst wenn diese drei Mitarbeiter es nicht schaffen, die vielen 29 Fragen in der 5 Jahre andauernden Legislaturperiode zu beantworten, dann hätte Berger durchaus die finanziellen Möglichkeiten, diese verantwortungsvolle Aufgabe extern zu vergeben. Denn immerhin beträgt sein monatliches Grundgehalt 10.075,18 Euro zuzüglich 350 Euro pro Tag, den er vor Ort im Parlament ist. Dazu kommt die sogenannte steuefreie „allgemeine Kostenvergütung“ von derzeit 4.950 Euro pro Monat.
Aber offenbar hält er es nicht für notwendig, den Bürgerinnen und Bürgern zu antworten und zu seinem Verhalten als Abgeordneter im Europaparlament Stellung zu nehmen. Vielleicht liegt es auch an seinem durchaus vielversprechenden Listenplatz zur anstehenden Europawahl im Juni. Denn mit Platz 6 stehen seine Chancen recht gut, weitere 5 Jahre die Interessen der Niederrheiner im EU-Parlament vertreten zu können.
Wer ist Stefan Berger?
Stefan Berger wurde 1969 in Mönchengladbach geboren. Er ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) an. Zuvor war Stefan Berger 17 Jahre lang, von 2000 – 2017, Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Im Landtagswahlkreis Viersen I (Schwalmtal, Viersen und Willich) wählten ihn die Bürger stets direkt in den Landtag. Während der laufenden Legislaturperiode wechselte Berger dann 2019 ins Europaparlament. Dort ist er Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung und befasst sich dort nach eigener Aussage mit Themen wie „Wettbewerb, Digitalisierung und Innovation und Krypto-Assets“.
Quellen
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/PV-9-2020-02-12-RCV_DE.pdf
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/PV-9-2020-02-12-ITM-011-07_DE.html